Ursprünglich wurde das Stück verfasst als Solostück für eine Szenischlesende, vorgetragen in Wohnzimmern zu Zeiten der Coronapandemie. Das Vermindern der Sehfähigkeit der Schauspielerin verunmöglichte dieses Vorhaben.
Der Text ist eine Fortsetzung von Rojin ile Fidan des Menschenrechtlers Akin Birdal. In diesem Stück trifft in einer Gefängniszelle in Anatolien eine Dorffrau mit einer Sehnsucht nach einem guten Leben "Wie im Film" auf eine Aktivistin, die für ein gutes Leben in Solidarität und Freiheit kämpfte. Im Fokus des Stückes von Akin Birdal steht die Dorffrau, die im Kontakt mit Ihrer Zellengefährtin ihre Geschichte aufrollt. In "Schwebende Füsse" hat die Seite der Aktivistin interessiert, nicht als Geschichte, sondern als Gedankenpuzzle, ihrer inneren Auseinandersetzung zwischen - der Trauer, dem Hineinsteigen in diese, der Hoffnungslosigkeit - dem Besserwissen und distanzierend über den Ereignissen stehen - dem überwinden der Kritik, an das Neue glaubend Das Stück orientiert sich an Biografien von Frauen auf der Flucht, auch an diejenige der Schauspielerin.
Um was es geht? Um das Scheitern der Suche nach einer Verbindungslinie zwischen Heimat und Fremde. Zwischen kompromissbereitem Überrealismus und kompromisslosem Traum. Zwischen Wissen und Tun. Zwischen Angst und ... Angst. Letztlich sind wir alle fremd in unseren eigenen Wänden, die nicht schützen können und wollen. Weder vor Liebe noch vor Gewalt. Das Wohnzimmer ist die Stadt, das Land, die Welt und das Elend dringt hinein bis unter die Bettdecke. Es handelt von der Unmöglichkeit des Lebens in Gleichheit und in der ach so tollen Diversität der Zukunftsgesellschaft. Niemand will ergänzt werden. Wir bleiben uns treu im Blockieren.
Schwebende Füsse: Wir bewegen uns in Räumen. Räume sind Ausdruck von Möglichkeiten und Vorstellungen und Intimitäten und Grenzen - sind Begrenzungen. Selten wird in ihnen getanzt, trotzdem sind die Füsse nicht am Boden. Wegschauen oder ein Machbarkeitswahn unsere Fluchten... Es gibt Echo-, Respekt-, Solidarräume und noch ganz andere Räume. Es gibt wenig freie Räume. Immer definiert jemand den Raum. Wer hat die Deutungshoheit? Und wie kommt es dazu? Wie Räume definiert werden, bestimmt auch, was in den Räumen passieren kann, wer in der Narration überhaupt vorkommt …
Das Stück ist auch eine Selbstbefragung im Kontext der Verhältnisse von dort und hier, nimmt überzeitlich das Thema Flucht auf und beleuchtet als Gegenwartskritik das Wegschauen und Nichtwahrhaben wollen von nachweislichen Realitäten. Theater ist der Weg von Von Fiktion zur Realität: Fiktion: Mythen wie Nation und Dollar, der starke Kapitalismus. Eigentlich alles Werkzeuge im Dienste der Menschheit. Und nicht die Menschen im Dienste der Werkzeuge. Wir brauchen eine neue Narration, die der Realität mehr entspricht: Die Welt kann anders, besser, gerechter sein.
Und eigentlich hat jedE einen Brief in der Hand, der zu öffnen wäre und der keinen Bibelspruch aus der Sonntagsschule enthält, sondern eine Erinnerung an eine gerechte Welt: Du bist frei und schön!
Wenige Sätze, die auf die konkrete Geschichte verweisen, sind auf türkisch, das Fremde und das, das wirklich weh tut, ist nur (oder nicht mal) in der Mutter-sprache nach aussen bringbar. Das Stück folgt dem Aufbau von Orientierung zur Identifizierung zur Manifestierung. Musik, Text und Spiel sind gleichberechtigt. Die Musik ist nicht untermalend, sie ist Dialogpartner.
Aus dem Off Fragen und das Gedicht "Schwebende Füsse" von Hannah Arendt Fragen und Gedicht gelesen von Sofie Utz Das Stück entsteht in Eigenregie mit einem gelegentlichen Auge von aussen des Autors und wird in Biel im ehemaligen Theater Rennweg 26 — heute Theater Biotop, am 8. und 9. November 2024 zur Aufführung gelangen.
Die Spielerin Fidan Firat ist 1960 in Tunceli, Türkei geboren. Seit 1976 lebt sie in der Schweiz. Sie zog alleinerziehend drei Kinder gross. Ihre ersten Jahre arbeitete sie in verschiedenen Fabriken als Hilfsarbeiterin. Seit 1995 engagiert sie sich ehrenamtlich in verschiedenen sozialen Projekten und spielt Theater. Ab 2001 war sie als interkulturelle übersetzerin tätig. Seit 1996 Produktionen mit der Theatergruppe Off SZoEN 1999 Gemeinsame Drehbuchbearbeitung mit Regisseur Nino Jacuso und anschliessend Hauptrolle im Film "Escape to Paradise". Seit 2001 Ensemble Mitglied des Theater Ararat mit Produktionen und Tourneen in CH, D, A. Fidan Firat lebt in Biel. Sie ist in der Zwischenzeit stark sehbehindert.
Der Musiker Muzafer Öztürk verbrachte wegen seiner politischen Aktivitäten insgesamt 28 Jahre im Gefängnis, davon 14 Jahre in Einzelhaft. Im Gefängnis organisierte er Konzerte, schrieb und inszenierte politische Stücke. Später leitete er ein Kulturzentrum und verÖffentlichte Artikel, Gedichte und Erzählungen. Am Theater Dortmund konnte er in der Reihe "Ich Europa" sein Stück über den gewaltsamen Tod der Friedensaktivistin Pippa Bakka zur Aufführung bringen und anschliessend mit seiner Musik auf Europatournée gehen. Seit 2017 lebt er nun in der Schweiz, heute in Ipsach bei Biel. Er singt und spielt als Multiinstrumentalist Saz, Baglama, Kabak-Kemane, Bendir, Darbuka
Der Rohtext stammt von Hanspeter Utz, Theaterpädagoge und Regisseur, Mitglied t., Preis und Urkunde Felix-Rellstab, ehemaliger Gründer und Leiter der Theater ExperiMent, Amarok und Ararat. Er lebt in Zeneggen VS.
Das Theater Ararat erarbeitet seit 1998 unregelmässig Stücke, alle wurden auch in Biel aufgeführt — teilweise mit einem Unterstützungsbeitrag der Stadt Biel, letztmals 2015 für das Stück "Tam Oniki" - Punkt zwölf.
Sofie Utz - Stimme, René Stu Stum - Technik, Pät Bachmann - Grafik, Robin Oberholzer - KI-Bilder. Mithilfe: Daria Wenger, Gülsün Özcan, Servet Paksoy Öztürk
Theater Biotop, Rennweg 26 2504 Biel
8. und 9. November
Stückbeginn 20h00 Uhr.
Kollekte und Barbetreib.
Unterstützt von Förderverein Theater Ararat und der Stadt Biel